Werte Freunde der Edition Hagia Sophia,
wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass die erste Ausgabe des neuen christlich-orthodoxen Journals CRISIS heute aus dem Druck kam und bestellt werden kann.
Die Quartalsschrift für christliche Kultur ist das Ergebnis einer langen Vorarbeit. Die Redaktion besteht aus orthodoxen Christen unterschiedlicher Herkunft, deren Anliegen es ist, von einem christlich-orthodoxen Standpunkt aus Stellung zu geistlichen, ethischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen zu beziehen.
CRISIS ist der Name für eine Zeit des Umbruchs. Oft gehen Krisen einher mit Ungewissheit und Ängsten, einer Ohnmacht des Einzelnen gegenüber den scheinbar unerbittlichen und nicht endgültig durchschaubaren globalen Transformationen. Diese erste Ausgabe widmet sich dem Great Reset, dem Umbruch, der den Weg für den Transhumanismus vorbereiten soll.
Inmitten dieser Zeit des Übergangs erscheint es daher gut, im deutschen Sprachraum jenen eine Stimme und eine Lektüre zu bieten, die bei diesem Übergang – der CRISIS – den Menschen als Geschöpf Gottes bewahren und sein Heil nicht aus den Augen verlieren möchten. Dazu gehört die kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, wie die konstruktive Besinnung auf Althergebrachtes. Bei allen technologischen Transformationen der Vergangenheit ist der Mensch er selbst geblieben. Dies steht in der Geschichte der Schöpfung heute erstmals auf dem Spiel. Gleichzeitig bietet jede CRISIS durch die ihr inhärente Instabilität eine Chance, den Lauf der weiteren Entwicklung zu beeinflussen. Hierfür sollen in dem Journal erste Ansätze geliefert werden.
CRISIS kann über den Verlag Edition Hagia Sophia bestellt oder abonniert werden.
]]>„Das können Sie da in Ihrem Moskau mal ausrichten – sie sollen Gesetze verabschieden, nach denen nicht nur Moskau leben kann”, sagt der Tierarzt Arkadij Makuschkin, eine der Hauptfiguren dieser Reportage aus den Dörfern rund um Anadyr, Russlands östlichstem Ort. Von hier aus hat man nur einen trüben Blick auf das Land, aber in gewisser Hinsicht ist er klarer als aus den Hauptstädten. Das Negative ist die Heuchelei der Quoten, die Idiotie der Gesetze, der mörderische Wodka und die Hochmütigkeit der Vorgesetzten. Das Positive ist der russische Gott, die russische Krim, die Direktheit der Mannsbilder und zumindest ein Hauch von Zivilisation. Eine Reportage über das nicht ausgebaute Russland.
»Ein wenig Krim für den Tschuktschen« ist eine Reportage von Marina Achmedowa und wurde am 23.09.2019 in der russischen Zeitschrift »Русский репортер« Nr. 17-18 (483) veröffentlicht. Fotos: Marina Achmedowa
„Ich will auch auf die Krim”, sagt Jurez, der am Ufer sitzt und die Sohlen seiner Gummistiefel dem kalten Wasser der Bucht zugewandt hat. „Serafima, nimm mich mit auf die Krim!”
Die stämmige russische Frau, mit dem Gesicht dem Meer und dem Wind zugewandt, wirft ihre langen Haare zurück. Vom Ufer verläuft, im rechten Winkel ins Meer hinein, eine straff gespannte Leine, welche das Netz hält. Die fast wie eine Hauskatze großen Möwen kommen ganz nah an die Menschen und an das auf dem kalten Ufergeröll liegende, schwarze Schlauchboot heran.
„Die Krim ist doch jetzt russisch, Serafima” – Jurez schaut die Frau ergeben an.
„Warum auch nicht?”, bricht sie ihr Schweigen. „Warum soll ich nicht losmachen? Im kommenden Jahr mache ich los und fahre. Aber so viel Fisch hast du noch nicht gefangen, Jurez.”
Die Frau kehrt vom Wasser ab und geht den steilen Pfad zu einem Balok aus Holz hinauf. Das Geröllufer endet in einer hügeligen Anhöhe, die mit hartem, langsam gelb werdenden Gras bewachsen ist. Auf dieser Anhöhe stehen in Reihe Baloks, die aus den erstbesten Materialien zusammengezimmert sind – aus rostigen Blechen, Sperrholz, Plastik. Hinter ihnen beginnt Anadyr, die Hauptstadt von Tschukotka.
Ungefähr zwanzig Meter von Jurez entfernt steht eine Frau in einem Anzug aus Gummi knietief im Wasser. Mit einer Hand hebt sie einen Strick hoch, der parallel zu Jurez’ Strick verläuft, holt so das Netz nach oben und greift mit der anderen nach einem zappelnden, silbrigen Fisch ins Wasser. Der Hundslachs schlägt mit der Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche, so dass sich eine Vielzahl von ideal linierten Kreiswellen auf dem milchig-hellblauen Wasser ausbreiten, deren größte fast bis an den Strick von Jurez heranrollt. Die Frau hält den Fisch am Schwanz fest und befreit seine Flossen aus dem Netz. Senkt ihn ins Wasser, damit er nicht zappelt. Im Wasser beruhigt sich der Fisch, und nachdem die Frau ihn aus dem Netz befreit hat, trägt sie ihn aus dem Wasser heraus, und er, der Fisch, spreizt seine Kiemen, lässt seine Augen aus den Höhlen quellen und sperrt seinen Rachen auf.
Jurez lässt seine Hand sinken und berührt das Geröll – es ist immer kalt, vom Wasser des Golfs...
]]>Rezension des «Zeitgenössischen Paterikon»; Autor: Hermanarich (gekürzt)
Das, was man als «Väterbücher» zu bezeichnen pflegt, ist kein so simples Genre, wie es einem anfangs scheinen mag. Schon in den Frühzeiten des Christentums war klar, dass dieses Genre einen gewissen Anteil an Giftigkeit enthält. Die Geschichte mit dem Löwen, denke ich, kennen alle. Hier ein Zitat von A.F. Gafrilow, bei dem ich zuerst von dieser Geschichte erfuhr:
«Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in meinem Eifer als Neophyt die antiken Paterika (Sprüche und Geschichten über das Leben der antiken Väter der Kirche) gelesen habe, und mit welchem Verdruss ich darin mitunter aus heutiger Sicht eher sakrilegische Witze fand, zum Beispiel die Geschichte mit dem Wüstenvater, der einem Löwen begegnete. Der Mönch, der in der Einöde das Heil seiner Seele suchte, betete zu Gott, dieser Löwe möge sogleich zu einem Christen werden. Und tatsächlich, das Tier ließ sich sogleich auf seine Hinterpfoten nieder, bezeichnete sich mithilfe der Vorderpfote mit dem Kreuzzeichen und begann ein Gebet: «Aller Augen hoffen auf Dich, o Herr». Dieser Spaß aus dem dritten oder vierten Jahrhundert unserer Zeit ist schlau angelegt. Für einen außenstehenden Betrachter ergibt das eine Geschichte über die Wirksamkeit des Gebets: Der Löwe benimmt sich ja tatsächlich plötzlich wie ein Christ – das heißt, nun wird alles gut enden. Für jemanden aber, der innerhalb dieser Kultur angesiedelt ist, wird sofort klar, dass der Löwe die ersten Worte des folgenden Gebets spricht: «Die Augen aller hoffen auf Dich, o Herr, und Du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du öffnest Deine Hand und erfüllst jedes Lebewesen mit Wohlgefallen, denn Du bist gütig und menschenliebend». Das ist ein Tischgebet vor der Mahlzeit. Der Löwe wird den Wüstenvater gleich fressen. Aber nicht mehr als Heide, sondern als wahrer Christ. Wozu brauchte es eine solche Doppeldeutigkeit? Ich schätze, es handelte sich dabei um eine Methode, die scheinbare Unvollkommenheit des Seins zu akzeptieren, ohne dessen Komplexität zu mißachten…»
Dieses Buch ist ein Paterikon. Also eine Sammlung an erbaulichen Geschichten aus dem Leben heiliger Väter, Asketen, Narren in Christo. Nur ist es eben kein echtes Paterikon, sondern ein künstlerisches – die heiligen Väter darin sind ausgedacht (obwohl die Autorin erwähnt, dass die Dichtung hierbei mit der Wahrheit vermischt ist), aber die Situationen, in welche diese ausgedachten Figuren geraten, sind durchaus sehr real. Nur sehr gut verborgen unter einer Schicht aus feiner Ironie und Groteske.
Ein Paterikon als erbauliche Literatur kann und soll auch nicht komplett verständlich sein. Es muss immer etwas geben, das unausgesprochen bleibt, etwas komplexes, doppeldeutiges – sonst wäre es keine erbauliche Literatur, sondern einfach nur eine Ansammlung von Binsenweisheiten, die nicht dazu imstande sind, jemandem angesichts der Komplexität des Lebens etwas beizubringen. Und ich kann gut verstehen, wieso die Komplexität dieses Buches bei einer bestimmten Kategorie Menschen so viel an Befremden und bisweilen sogar Aggression hervorruft – sie verstehen einfach nicht, dass religiöse Literatur auch so sein kann.
Hier zur Illustration eine kurze Geschichte:...
]]>Alexandros Papadiamantis, dessen Romane, Novellen und Erzählungen zur Weltliteratur zählen und der von vielen in seinem Heimatland als der größte Schriftsteller des neuzeitlichen Griechenlands angesehen wird.
Seinen Erzählungen ist gemein, dass sie von tragikomischen Elementen durchzogen sind, gewürzt mit feiner, manchmal aber auch ganz offener Gesellschaftskritik. Ein wichtiges, sich wiederholendes Thema ist die Stellung der Frau in einem ausgeprägt patriarchalischen System, das für sie nur die Unterordnung kennt, in einer Epoche, in der europäische Einflüsse immer stärker werden und die verkrusteten Strukturen der ottomanischen Herrschaft aufbrechen und sich auf dem Rückzug befinden. Seine Sympathien liegen bei den Schwachen, bei den Frauen, Kindern und einfachen Leuten, Fischern, Hirten und Mönchen, die auch seine Helden sind, und aus deren Blickwinkel die Gesellschaft am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beleuchtet wird. Außergewöhnlich sind seine detaillierten Beschreibungen der Natur. Viele seiner Geschichten spielen sich unter dem freien Himmel der Ägäis, der Inseln, des Meeres, aber auch des Hinterlandes und der Berge ab.
Seine poetische Ausdrucksweise, vereinigt mit dem griechischen Dialekt des neunzehnten Jahrhunderts, erreicht einen relativ hohen Schwierigkeitsgrad, wenn es darum geht, ihn in eine andere Sprache zu übertragen. Womöglich ist dies ein Grund dafür, dass sich nicht mehr seiner Werke in deutscher Sprache in Umlauf befinden. Die altertümlich anmutenden Übersetzungen seiner Erzählungen, die sich bisher noch in Umlauf befinden, werden dabei seinen Fähigkeiten nicht gerecht. Obwohl er gegen Ende des 19., Anfangs des 20. Jahrhunderts schrieb, sind seine Geschichten, in ein modernes Deutsch übertragen, hervorragend zu lesen.
»Ohne Kranz« ist eine Erzählung von Alexandros Papadiamantis, dessen "Griechische Erzählungen" bei Edition Hagia Sophia erscheinen.
War nicht etwa auch sie in ihrem Haus und ihrem Hof die Hausherrin? War nicht etwa auch sie vor einer Zeit jung gewesen, gut erzogen? Lesen und Schreiben hatte sie in der Schule gelernt. Ihr Diplom hatte sie von der Arsákeios-Universität erhalten.
Sie ging allen ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nach, führte ihre häuslichen Arbeiten besser als jede andere aus. Sie hatte eine große Sauberkeit in ihrem Haus und auf ihren Stufen, bereit reinzumachen und zu scheuern, ohne dass es ihr jemals lästig fiel und ohne jene Wunderlichkeit zu zeigen, welchen allen Frauen gemein ist, die die Sauberkeit bis zur Übertreibung lieben. Und wenn die große Osterwoche begann, verdoppelte sie so sehr das Reinemachen und Waschen, dass sie ihren Fußboden zum Strahlen brachte, und die Wand dazu schien neidisch auf den Fußboden zu sein. Gründonnerstag kam herbei und sie entzündete ihr Feuer, stellte ihren Kochtopf auf, und färbte die Ostereier knallrot. Danach bereitete sie ihre Teigschüssel vor, kniete, schlug dreimal das Kreuz über dem Mehl, und knetete deutlich und geschickt die Kringel und presste darauf kreuzförmig die roten Eier ein.
Wenn es Nacht wurde, wagte sie es nicht hinzugehen und sich unter die anderen Frauen zu mischen, um die Zwölf Evangelien zu hören. Sie wollte, dass es einen Weg geben würde, sich hinter dem Rücken irgendeiner Hochgewachsenen und Dicken zu verstecken oder sich in der letzten Reihe des ganzen Frauenschwarmes an die Wand geklebt zu verbergen. Sie fürchtete sich jedoch davor, dass sie sich etwa umdrehen und sie anblicken würden.
Am Karfreitag war sie den ganzen Tag über in Gedanken versunken, weinte innerlich, klagte über ihre Jugendzeit und die Herzallerliebsten, die sie verloren hatte. Im Wachen träumte sie, und nahm auch sie sich vor, am Abend, bevor die Gebetsabfolge begann, heimlich das Epitaph zu verehren, und sich davonzumachen, wie jene Blutflüssige, die ihre Heilung von Christus gestohlen hatte. Doch im letzten Moment, als es schon anfing dunkel zu werden, fehlte ihr der Mut, und sie konnte sich nicht entscheiden hinzugehen. Es überkam sie Herzrasen.
Spät in der Nacht, wenn die heilige Prozession mit Kreuzen, Fahnen und Kerzen, unter Psalmengesängen, Liedern und den abwechselnden Stimmen der Musik der Waisen Chatzikósta, und Lärm, und vielen Menschen im Halblicht aus der Kirche kam, dann rannte der Giambís, der Vorsteher, voraus, um zu seinem Haus zu gelangen, seine seidene, gestickte Mütze aufzusetzen und seine Bernsteinkette haltend auf den Balkon zu treten, mit der Jahr für Jahr vergeblichen Hoffnung, dass die Priester sich entscheiden würden Halt zu machen und unter seinem Balkon ein Bittgebet hervorzubringen. Dann hielt auch diese Arme, die Christina, die Lehrerin (wie man sie eine Zeitlang in der Nachbarschaft rief) am kleinen Fenster ihres Hauses, halbversteckt hinter dem Fensterladen, ihre kleine Hochkerze, mit einem Licht so groß wie ihre Handfläche. Sie warf reichlich duftenden Weihrauch in das irdene Räucherfass, womit sie von Weitem die Spezerei demjenigen darbrachte, der einst das Salböl und die Tränen der Sünderin angenommen...
]]>Alexandros Papadiamantis (1851-1911) war ein griechischer Prosa-Schriftsteller, dessen Romane, Novellen und Erzählungen zur Weltliteratur zählen und der von vielen in seinem Heimatland als der größte Schriftsteller des neuzeitlichen Griechenlands angesehen wird.
Seinen Erzählungen ist gemein, dass sie von tragikomischen Elementen durchzogen sind, gewürzt mit feiner, manchmal aber auch ganz offener Gesellschaftskritik. Ein wichtiges sich wiederholendes Thema ist die Stellung der Frau in einem ausgeprägt patriarchalischen System, das für sie nur die Unterordnung kennt, in einer Epoche, in der europäische Einflüsse immer stärker werden und die verkrusteten Strukturen der ottomanischen Herrschaft aufbrechen und sich auf dem Rückzug befinden. Seine Sympathien liegen bei den Schwachen, bei den Frauen, Kindern und einfachen Leuten, Fischern, Hirten und Mönchen, die auch seine Helden sind, und aus deren Blickwinkel die Gesellschaft am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beleuchtet wird. Außergewöhnlich sind seine detaillierten Beschreibungen der Natur. Viele seiner Geschichten spielen sich unter dem freien Himmel der Ägäis, der Inseln, des Meeres, aber auch des Hinterlandes und der Berge ab.
Seine poetische Ausdrucksweise, vereinigt mit dem griechischen Dialekt des neunzehnten Jahrhunderts, erreicht einen relativ hohen Schwierigkeitsgrad, wenn es darum geht, ihn in eine andere Sprache zu übertragen. (Vielleicht ist auch das ein Grund, dass sich nicht mehr seiner Werke in deutscher Sprache in Umlauf befinden.) Die altertümlich anmutenden Übersetzungen seiner Erzählungen (so selten diese auch sind) und die sich bisher noch in Umlauf befinden, werden dabei seinen Fähigkeiten nicht gerecht. Obwohl er gegen Ende des neunzehnten, Anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts schrieb, sind seine Geschichten - in ein modernes Deutsch übertragen - hervorragend zu lesen.
]]>von Jelena Kutscherenko (auf Grundlage realer Begebenheiten, die Namen wurden geändert)
Ich mag Friedhöfe. Ich glaube, davon habe ich bereits geschrieben. Dort findet man immer etwas, worüber man nachdenken kann. Man geht still vor sich hin, betrachtet die Gräber und begreift, dass hinter diesen immer wieder gleichen Steinen und Kreuzen ganze Schicksale stehen. Ganz verschiedene, unverwechselbare… Freuden, Nöte, Hoffnungen, Enttäuschungen, Liebe und Hass… Wer waren diese Menschen? Wie haben sie gelebt? Wie starben sie? Gut, oder schlecht? Wovon träumten sie?.. Gott allein weiß es.
Aber am meisten mag ich die Friedhöfe auf den Dörfern. Und diese besonders im Frühjahr. In unmittelbarer Nähe des Todes wird neues Leben geboren. Die Natur erwacht und singt, die Sonne wärmt, die Vögel zwitschern. Und genau in solchen Augenblicken merkt man, dass es diesen Tod eigentlich gar nicht gibt. Es öffnet sich einfach eine Tür, und der Mensch tritt hindurch. Wohin? Und was wird nun aus ihm? Gott allein weiß es.
In diesem Jahr jedenfalls zog es mich auf unserem Dorf wieder dort hin.
An einem kleinen Grab hockte eine Alte. Wer von den ihren war wohl dort – ihr Mann, ihr Sohn? Sie saß eine Weile da, bekreuzigte sich und ging fort. An einem anderen Grab waren ein junger Mann und eine junge Frau emsig bei der Arbeit. Sie rupfte Gras, er strich die Umzäunung des Grabmals. Dabei unterhielten sie sich lebhaft und auf so ganz und gar nicht einem Friedhof entsprechende Art miteinander. Als ich mich bereits auf den Rückweg machte, waren auch sie am Aufbrechen. Die Frau putzte noch einmal die Fotografie am Grabstein. Ihr Begleiter aber stellte genauso sorgsam aus irgendeinem Grund ein Glas Wodka daneben.
An diesem Tag fiel mir zufälligerweise ein Grab auf. Nicht, weil es verworfen und ungepflegt war – solche gibt es dort viele. Sondern weil das schief gewordene, rostige Kreuz, das man in die Erde gesteckt hatte, ganz offensichtlich von der Marke »Eigenbau« und aus irgendwelchen Rohren zusammengeschweißt war. Und das war es auch schon – keine Einfassung, keinerlei Blumen. Nur ein überwucherter, längst vergessener Grabhügel. Selbst vor dem Hintergrund der anderen vergessenen Gräber machte dieses einen besonders verwaisten Eindruck. Als ob es nie jemand wirklich gewollt hatte…
Den ganzen Abend über hatte ich diesen traurigen Grabhügel vor meinem inneren Auge. Als ich die Nachbarin erblickte, die schon ganz alte Tante Mascha, fragte ich sie danach.
„Das, weitab vom Schuss, mit den Rohren? Das ist doch Serjoschka, die Missgestalt“, antwortete sie. „Der Unglücksrabe…“
Sie seufzte und sann nach, schien sich dabei an etwas zu erinnern…
Serjoschka war tatsächlich ein Unglücksrabe gewesen. Seit seiner Geburt. Seine Großmutter, die von allen im Dorf einfach nur Petrowna gerufen wurde und das einzige menschliche Wesen auf der Welt war, das ihm wenigstens ansatzweise freundlich begegnete, seufzte immer, wenn sie ihren Enkel sah, und mümmelte mit ihrem zahnlosen Mund: „Ach, du Unglücklicher, besser wäre es, du würdest sterben“.
Vielleicht wäre das auch besser gewesen. Aber Serjoschka lebte.
Er überlebte, als seiner Mutter, Marinka, einer örtlichen Alkoholikerin, im Suff plötzlich bewusst wurde,...
]]>„Euthanasie wird ein wesentliches Instrument unserer kommenden Gesellschaft werden“, schrieb der Sozialist Jacques Attali (Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und langjähriger Berater des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, im Gemeinschaftsband Die Zukunft des Lebens, Ed. Seghers, Paris, 1991). „(…) Sobald er das Alter von 60-65 Jahren überschreitet, lebt der Mensch länger als seine Fähigkeit zu produzieren und dann kostet er die Gesellschaft eine Menge Geld. (…) In der Tat, aus gesellschaftlicher Sicht ist es vorzuziehen, dass die menschliche Maschine eher plötzlich stoppt, als dass man einem fortschreitenden Verfall entgegensehen muss. (…) Die sozialistische Logik ist Freiheit. Die Grundfreiheit ist der Selbstmord. Demzufolge ist das Recht auf Selbstmord entweder direkt oder indirekt ein absoluter Wert in solch einer Gesellschaft“ folgert der zynische Politiker-Prophet.
Wie sähe die Welt aus, wenn ein solches Szenario Realität würde? Der Teufel ist politisch korrekt stellt eine Projektion dessen, was einige Gesetze, Gesetzesvorhaben oder Aussagen von Politikern und Meinungsbildnern fordern in die Zukunft dar, so wie diese sich die Welt wünschen. Die „Werte“ der modernen Welt, wie Abtreibung, Zerstörung der Kern-Familie, Förderung der Homosexualität, Reduzierung der Bevölkerung — alle basierend auf einem aggressiven Atheismus — zeigen ihr wahres Gesicht in einem Roman voller Grausamkeit und Aufrichtigkeit, der sich leichter liest, als sich ein Film anschauen lässt.
Taschenbuch: 164 Seiten
Verlag: Edition Hagia Sophia; Auflage: Deutsche Erstauflage (1. Februar 2019)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3963210257
ISBN-13: 978-3963210259
Übersetzung aus dem Rumänischen von Nicolae Robert Geisler
]]>Savatie (Ștefan) Baștovoi ist Priestermönch, Poet, Autor, Publizist und Herausgeber. Er studierte Malerei, Philosophie und Theologie. Er ist Mitglied der Schriftstellervereinigung und des Journalistenverbandes der Republik Moldawien. Weiterhin ist er Gründer und Direktor der Edition Cathisma, Bukarest.
Für seinen Gedichtband Elefantul promis („Der versprochene Elefant“) erhielt er 1996 den Debütpreis des Moldawischen Schriftstellerverbandes und den Preis des Nationalen Buchsalons von Iași. Im Jahr 2007 wurde er mit dem Preis für Essays des Moldawischen Schriftstellerverbandes für seinen Band Ortodoxia pentru postmoderniști („Orthodoxie für Postmodernisten“) geehrt. Auf dem Internationalen Buchsalon von Chișinău 2008 wurden sein Roman Nebunul („Der Verrückte“) und sein Essay Cînd pietrele vorbesc – Biserica faţă în faţă cu prorpia imagine („Wenn Steine sprechen – Die Kirche Angesicht zu Angesicht mit ihrem eigenen Image“) prämiert. Mit seinen Gedichten ist er in Anthologien aus den USA, Frankreich und Deutschland vertreten.
Literarische Werke: Elefantul promis (Gedichte, 1996), Iepurii nu mor (Roman, 2002, ins Französische übersetzt), Nebunul (Roman, 2006, ins Russische übersetzt), Ortodoxia pentru postmoderniști (Essay, 2007), Între Freud și Hristos (Essay, 2002, 2006, 2008, ins Mazedonische übersetzt), A iubi înseamnă a ierta (Essay, 2006), Cînd pietrele vorbesc (Essay, 2008), Audiență la un demon mut (Roman, 2009), Diavolul este politic corect (Roman, 2010).
1999 wurde er zum Mönch geschoren, im Jahr 2000 zum Mönchsdiakon und 2002 zum Priestermönch geweiht. Er lebt heute in einer Einsiedelei bei Oricova, in der Republik Moldawien.
]]>Am 18. August dieses Jahres zelebrierte Erzpriester Pjotr Dynnikow, der Vorsteher der Kirche des hl. Propheten Elias in Lemeschowo, das im Bezirk Podolsk nahe Moskau liegt, eine Fürbitte für die Bewahrung der Schöpfung Gottes. Vater Pjotr liebt Tiere, er hütet 47 Katzen und 53 Hunde, und auf der Internetseite der Kirche gibt es eine Unterseite von Tierschützern. Es gibt Leute, die echauffieren sich über das Video mit dem Kater Sorbet in der Kirche – solche sagen: Soll er doch lieber Menschen das Heil ermöglichen. Andere erwidern: Wer Tiere liebt, der wird auch Menschen erretten. Vater Pjotr selbst indes meint, dass er selbst unrecht hatte.
»Versuchungen mit Sorbet« ist eine Reportage von Marina Achmedowa und wurde in der russischen Zeitschrift »Русский репортер« veröffentlicht.
Antonina malt an der Staffelei. Sorbet liegt auf dem Fensterbrett. Der Heilige wird gelblich und streng. In einer Hand hält er eine Kirche mit zwei Kuppeln. Wie sehr Sorbet auch blinzelt, wie oft er auch dem Heiligen mit seinem gelben Auge, in das ein Sonnenstrahl gespiegelt wird, zuzwinkert: der Heilige behält seinen strengen Blick.
Vater Pjotr Dynnikow betet vor der Ikone des heiligen Bischofs Luka. Luka ist sein Lieblingsheiliger. Er war Arzt, praktizierender Chirurg, und sein weltlicher Name war Walentin Felixowitsch Woino-Jassenezki. In seinem Werk »Geist, Seele und Körper« berührt Erzbischof Luka Fragen nach einem Bewusstsein bei Katzen und Hunden. Er schrieb direkt: Katzen und Hunde haben Emotionen. Sie verstehen den Unterschied zwischen der Liebe und der Lieblosigkeit der Menschen. Durch diese Äußerung rief Luka, Preisträger des Stalinpreises im Bereich der septischen Chirurgie, Kritik hervor.
Der heilige Märtyrer-Priester Alexander Agafonnikow wurde am 14. September 1937 verhaftet, und aus dem Häuschen, das bei dieser Kirche liegt, ins Gefängnis nach Serpuchow gebracht. Am folgenden Tag wurde Vater Alexander verhört. Am 14. Oktober des gleichen Jahres wurde er auf einem Pferdewagen zum Butowo-Poligon geschafft, erschossen und in einem Massengrab beerdigt. Er war vier Jahre jünger als Luka Woino-Jassenezki. Sorbet springt vom Fensterbrett herunter und zwischen Luka und Alexander hindurch. Er reibt sich an den Beinen von Vater Pjotr Dynnikow. Umgeht die Vase mit den großen Rosen, die im Zenit ihrer Schönheit geschnitten worden waren. Als wollte er zeigen: So sehr, auf Tuchfühlung kann ich die Vase umkreisen, ohne sie um auch nur einen Millimeter zu verrücken.
„Nichts als Versuchungen kommen von dir, Sorbet", wirft ihm Vater Pjotr hin.
Der Priester begibt sich zum Ausgang der Kirche. Sorbet läuft ihm hinterher. Unter der Heizung kommt September hervor gesprungen. Von unter der Bank hervor huscht Kutusow. Den Kirchhof betritt Vater Pjotr in Begleitung von Katzen. Insgesamt hat er siebenundvierzig Kater und Katzen. Und dreiundfünfzig Hunde.
Am 18. August dieses Jahres zelebrierte Vater Pjotr eine Fürbitte für die Bewahrung der Schöpfung Gottes. „Wir beten für die Menschen, die durch ihre Barmherzigkeit dazu bereit sind, ihre Liebe mit den unglückseligen Hunden und Katzen zu teilen, welche ohne ein Heim geblieben sind", wandte er sich an die versammelten Journalisten. Die Gläubigen kamen an diesem Tag mit ihren Katern und Katzen in...
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