25.
Mär
2015

5
min

Jaroslaw Schipow

Jaroslaw Alekseewitsch Schipow, geb. 1947, Absolvent des Moskauer Maxim-Gorki-Literaturinstituts, Schriftsteller und bis zu seiner Weihe ins geistliche Amt begeisterter Jäger, Kenner der russischen Steppen, der Tundra und Taiga, ist Autor einer Vielzahl von Erzählungen und Geschichten über den Alltag und das kirchliche Gemeindeleben einfacher russischer Menschen in der Provinz. Mit 44 Jahren wurde er zum Priester geweiht und war am Aufbau einer Vielzahl von Kirchen und Gemeinden im russischen Norden beteiligt.

Aus einem Interview mit Erzpriester Jaroslaw Schipow

(erschienen bei pravmir.ru)

Ich bin im Jahr 1947 in einer Familie von Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges geboren. Ich habe das Maxim-Gorki-Literaturinstitut abgeschlossen und wurde im Alter von 35 Jahren Mitglied des Schriftstellerverbands. Dort bekleidete ich verschiedene Ämter - war in der Moskauer Abteilung des Verbands tätig, aber auch im russischen Literaturfonds.

Außerdem bin ich seit meiner Jugend Jäger. Als Jäger war ich immer Einzelgänger. Ich habe in aller Einsamkeit fast unser ganzes Land durchreist und durchflogen. Ich war sowohl im Norden, als auch im Fernen Osten. Ich hatte nie Schwierigkeiten damit, einfach mit dem Finger auf die Landkarte zu zeigen und mich kurz darauf an genau diesem Ort wiederzufinden. In jedem beliebigen Wald, in jedem Sumpf geht es mir besser als zuhause.

Eines Tages erwarb ich eine halb verfallene Hütte im Norden der Oblast Wologda; dahin reiste ich immer, wenn ich auf die Jagd wollte. In dem Ort hatte man in früheren Tagen eine Kirche erbaut; sie war zu Ehren des Fests der Verklärung Christi geweiht worden, und man benannte den Ort auch im Zusammenhang damit “Werchnij Spas”. Zur Feier des 600. Jahrestags der Erbauung dieser Kirche hat die Verwaltung des Landkreises beschlossen, diese Kirche wieder aufzubauen. Wie sie das aber anstellen sollten, das wussten sie nicht. Man beschloss, dass ich, als Moskauer, das wissen müsse. Los, sagte man mir, geh ans Werk.

Bis zum Alter von fast 40 Jahren war ich gar nicht getauft. Aber dann ging es los, dass ich gewisse Beklemmungen empfand, denn… Es gibt bei den heiligen Vätern eine solche Aussage: die Seele ist ihrer Natur nach Christin. Und auch sie verlangt nach Nahrung, aber nach geistlicher. Meine Seele verlangte also nach solcher Nahrung, ich lebte aber das Leben eines vollkommen ungläubigen Menschen.

Nachdem ich also, beinahe vierzigjährig, die Taufe empfangen hatte, ging ich daran, mich dem Wiederaufbau dieser Kirche zu widmen. Zu Sowjetzeiten war das gar nicht so einfach. In erster Linie ging es darum, eine sogenannte “Zwanzigergruppe” zusammenzutrommeln - also einen Gemeindekern aus zwanzig Personen, auf deren Namen die Gemeinde dann auch eingetragen wurde. Die Kirche war groß, mit Schiefer verkleidet, aber zu seiner Zeit hatte man bei ihr alles abgetragen, was irgend ging - sowohl die Kuppeln, als auch den Glockenturm. Sechzig Jahre lang diente sie als Garage für die Fahrzeuge der Kolchose.

Die Behörden legten dem Vorhaben Steine in den Weg, wo sie nur konnten. Beispielsweise war ich nach Wologda, zum Dezernat für Zusammenarbeit mit den Religionen gereist, um die Gemeinde zu registrieren, dort aber sagte man mir: “Bei der Adresse fehlt die Straße. Ohne Angabe der Straße können wir Ihren Antrag nicht annehmen.” Aber im Dorf gibt es doch gar keine “Straßen”! Ich musste also zurückkehren, machte mich wieder daran, die Gehöfte abzuklappern, und die Großmütterchen schreiben mir einfach “Waldstraße” in die Adresszeile...

Jaroslaw Schipow

Schließlich wurde die Gemeinde eingetragen. Wir reisten zum Bischof in die Stadt. Dieser Mann, der die Leitung der Kirchen in der gesamten Oblast innehatte - Erzbischof Michail Mudjugin - war 1912 geboren. Meine Begleitung bestand aus den Vorsitzenden der Kolchose und des Landrats, und wir sprechen beim Bischof vor - so und so, wir wollen da-und-da die Kirche wiederaufbauen. Der Erzbischof meinte: “Ich habe dafür keine Mittel.” - “Keine Sorge, um die Mittel kümmere ich mich”, antwortete der Vorsitzende der Kolchose darauf.

Das alles spielte sich noch vor der Perestroika ab, deswegen konnte er auch tatsächlich gewisse Mittel auftreiben. “Ich schaffe Abdeckblech und Ziegel herbei”, sagte er. “Wir decken die Kirche mit einem neuen Dach ab, und bauen einen neuen Kirchturm.” Daraufhin meinte der Erzbischof: “Ich habe gar keine Leute... Ich muss schon wer weiß was für Leute weihen, denn niemand ist erpicht darauf, in die arme und hungernde Diözese von Wologda zu gehen.” - “Wir brauchen ja nicht wer weiß was für Leute”, erwiderte der Vorsitzende des Landrats. “Wir wollen den da!” - “Jungs”, meine ich ganz perplex; “ihr hättet mich wenigstens vorwarnen können. Was soll das überhaupt heißen, ‘den da’?! Ich muss dazu mindestens bei meinen Beichtvater in Moskau im Dreifaltigkeits-Sergius-Kloster den Segen einholen.” So ist dieses Gespräch dann auch zu Ende gegangen.

Wir fuhren unserer Wege, und plötzlich erreicht mich ein Telegramm - ich wurde darum gebeten, in die Stadt Tscherepowez zu kommen. Der Erzbischof wolle etwas mit mir besprechen, vermutlich ging es um den Wiederaufbau der Kirche. Ich hatte aber einen Termin - eine Tagung des Schriftstellerverbandes. Mir blieb nichts anderes übrig, als meinen Schriftstellerkollegen in Wologda Bescheid zu geben; ich habe etwas zu erledigen und komme später. Mein Mandat gab ich ab, sagte, für wen ich auf der Tagung stimmen würde und machte mich auf den Weg. Ich traf am Zielort ein und… wurde plötzlich zum Diakon geweiht!

Das ist erstaunlich! In dem Gebiet, wo ich die Kirche wiederaufbaute, wusste schon niemand mehr etwas über die Kirche, nicht einmal, mit welcher Hand man sich die Stirn zu bekreuzigen hat - 60 Jahre lang hat es dort keinen Geistlichen mehr gegeben. Aber es ist eine alte Tradition im Gedächtnis der Menschen geblieben, eine “volkskirchliche”, kann man sagen. Sie bestand darin, dass die Menschen der Gegenden, die von Geistlichen nicht freiwillig aufgesucht werden - also weit entlegene und arme Regionen - einen Kandidaten aus den eigenen Reihen aufstellen. Dieser wurde dann auch ins geistliche Amt geweiht.

So kam es, dass die Dorfleute eine Petition an den Erzbischof richteten. Gib uns, schrieben sie, diesen Mann aus Moskau und niemanden sonst. Ich aber war ein Sowjetbediensteter, zu der Zeit im Verlag “Sowremennik” war ich Chef der Redaktion für Prosa und hatte 25 Leute unter mir, deren Vorgesetzter ich war. Ich kam dann eines Tages auf Arbeit und verkündete: “Das war’s, ich bin jetzt Diakon in der Oblast Wologda, bitte gebt mir mein Arbeitsbuch…”

Zwei Wochen lang dauerte mein Praktikum in Tscherepowez, danach diente ich weitere zwei Wochen lang als Diakon in Weliki Ustjug. Hiernach kam ich nach Wologda, wo man mich zum Priester weihte, und ich reiste zurück in mein Dorf. Vier Jahre lang, von 1991 bis 1994, diente ich dort, baute gleichzeitig vier Gemeinden auf, die 80 Kilometer eine von der anderen entfernt waren. Ich baute eine neue Kirche auf und habe drei alte wiedererrichtet. Und Straßen gibt es in dieser Gegend keine, ein eigenes Fahrzeug besaß ich auch nicht...

Von den 256 besiedelten Ortschaften der Gegend habe ich nur zwei nicht besucht. In den übrigen taufte, bestattete ich oder segnete Wohngebäude ein. Eheschließungen gab es bei mir aber nur in einer Kirche. Dann kehrte ich nach Moskau zurück, und nun sind es schon 20 Jahre, dass ich in einer Kirche auf der Warwarka diene. Das ist sie, meine Biografie - mit 40 getauft, und mit 44 Priester geworden...



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