01.
Aug
2018

1
min

Der Nichtskönner

Leseprobe aus dem "Zeitgenössischen Paterikon" von Maja Kutscherskaja, erhältlich bei Edition Hagia Sophia.

Ein Batjuschka konnte überhaupt nichts. Er verstand es nicht, die Kirche instand zu setzen, und seine Kirche stand denn auch schon das fünfte Jahr mit einem Baugerüst herum. Er verstand es auch nicht, Buchhandel zu betreiben, sich Verkaufsstände zu organisieren oder ins Buchgeschäft einzusteigen.

Er schaffte es nicht, sich ein Wohnhaus für den Klerus zu ergattern oder wenigstens einen Raum für die Sonntagsschule. Er hatte nicht die nötigen Verbindungen, keine freigebigen Sponsoren, nicht dutzende oder gar hunderte von loyalen geistlichen Kindern; er hatte kein Auto, kein Mobiltelefon, keinen Computer, keine E-Mail, ja, nicht einmal einen Pager. Er hatte nicht die Gabe der Seelenschau, die Gabe der Wundertätigkeit, die Gabe der Hellsicht oder die Gabe, einen schönen Gottesdienst zu feiern – die Gottesdienste zelebrierte er mit leiser Stimme, so dass man, wenn man weit vom Altar entfernt stand, rein gar nichts mehr hören konnte. Und was er tatsächlich so gar nicht hatte war die Gabe des Wortes. Seine Predigten stammelte er vor sich hin und sagte immer ein und dasselbe, Mal ums Mal. Seine Matuschka hörte und sah man nicht, obwohl er doch eine hatte, aber Kinder hatten die beiden keine. So lebte der Batjuschka sein Leben, und schließlich starb er. Die Totenmesse hielt man an einem trüben Novembertag, und als die Leute, wie das üblich ist, ihre Kerzen entzünden wollten, da brannten alle Kerzen von allein an, und die Kirche wurde von einem jenseitigen Licht erhellt.

(aus dem Lesezyklus "Lektüre für jene, welche die Süße des wahren Glaubens erst vor kurzem gekostet haben")



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